Dr. Friedhelm Häring – Rede anlässlich der Ausstellung in der Arthus Galerie 2018

...Die Stilleben von Petra Rintelen zeigen in Ölmalerei Früchte, Blumen, Tiere, Schädel, Schalen, Vasen und anderes. Seit Jahrhunderten kennt man solche Malerei, etwa von Georg Flegel (1566-1638) bis hin zu Otto Scholderer (1834-1902), die in geordneten Kompositionen Muscheln, Käfer, Essen und Früchte in einem hell erleuchteten Raumausschnitt zeigen, exklusiver Teil des Lebensalltags, als Ausstattung für das Esszimmer, gekonnt und beschaulich.

Die Stilleben von Petra Rintelen sind anderen Geistes. Im Atelier wurden normale Dekorationsstücke und Alltagsgegenstände in immer neuen Kompositionen arrangiert und als ein Gemälde in einen von Tonwerten bestimmten, halbdunklen, meditativen, ästhetischen, nicht perspektivischen Raum gestellt. Dadurch gewinnen sie eine andere Dimension, wie ein Gedicht, um die Absolutheit, die Essenz zu gewinnen. Durch Anschnitt der Gegenstände, unklare Raumzusammenhänge, führt sie über die sinnliche Wahrnehmung hinaus. Indem sie die Gegenstände aus den fesselnden Mitten verrückt, schafft sie das Bewußtsein für das ewige Vorbei. In dem Entgleiten alles Vergänglichen findet sie über dem Schönsein zum Sinn und deckt Schein und Eitelkeit des Lebens auf. Ihre Bilder sind Vanitastafeln, erinnern an die Sterblichkeit, sind tiefsinniges „memento mori“, still und meditativ.

Unaufdringlich führt in diese intellektuelle Dimension schon die Stillebenmalerei des Jean Baptiste Siméon Chardin (1699-1779), der die Alltagsgegenstände in Zauber von Licht und Farbe zur Poesie für nachfolgende Generationen bis zu Petra Rintelen einzufangen vermochte. Selten ist aber einem Nachfolger eine solche Metamorphose zur Lebensdeutung gelungen, dass jenseits des Einzelmotives, klar und rein, der Sinn spürbar lebt, wie bei der Künstlerin. Dabei sind die Requisiten durchaus Bestandteil ihres Alltags, ihres Heute und in der Summe ein lebendiges Portrait ihrer selbst und ihrer Gedanklichkeit, ein Spiegel, sublim und aktuell, der zum Innehalten aufruft.

Die „Kunst- und Wunderkammern“ der Petra Rintelen

Einführung von Prof. Klaus Hammer zur Ausstellung in der Artfein Gallery 2017

[...] bei Petra Rintelen lässt der Detailreichtum eine intensive geistige und künstlerische Beschäftigung der Künstlerin spür- und sichtbar werden. Ihre Stillleben sind mehr als eine Imitatio, eine Nachahmung der vergänglichen Natur. Sie sind verführerische Idealbilder, unvergängliche Referenzen für alle, die ebenso die Natur, die Umwelt entdecken möchten.

Ihre ständig erneuerten, im Atelier arrangierten Versuchsordnungen aus immer wieder anderen Gegenständen wollen nicht nur die optisch-sinnliche Aura der Gegenstände einfangen, sondern vor allem die Bedingungen des Sehens selbst untersuchen. Das Auge nimmt nicht alles gleichzeitig und nicht alles auf die gleiche Weise wahr, so studiert die Künstlerin die Veränderungen, welche die Farbe durch Absorption von Licht erfährt, den Wechsel der Perspektive und dessen Auswirkung auf den ästhetischen Raum, der den Bedingungen der Realität entrückt ist. In ihrer radikalen Zielsetzung, die Natur nicht abzubilden, sondern unter den Bedingungen des Sehens nachzuschaffen anhand einfacher Objekte, die ihr zur Verfügung stehen und die sie gleichsam unter Laborbedingungen immer wieder sorgfältig neu arrangiert, stellt sie sich in die Tradition der niederländischen Stilllebenmaler des 17. und 18. Jahrhunderts, aber auch Jean Baptiste Siméon Chardins wie Paul Cézannes. Der scheinbaren Nähe zur Erfahrungswelt des Betrachters, die der erste Eindruck zunächst suggerieren mag, sind ihre Stillleben in Wahrheit als formalästhetische Konstrukte entrückt.

Petra Rintelen gruppiert natürliche und künstliche Objekte, Blumen, Früchte, Muscheln, Gefäße, Instrumente, Gegenstände des Alltags, gedeckte Tische, Raritäten, Muscheln, Tiere und vieles andere im Bild. Diese bezeugen einen Moment ungestörter Ruhe. Sie werden durch ein mildes Licht verklärt, das aber genügend Schatten wirft, um alle Dinge fest auf ihrer Unterlage zu verankern. Jedes Motiv ist vor einer dunkleren Unterlage sozusagen ins Helle gemalt. Überschneidungen werden vermieden, Glanzlichter nur sparsam eingesetzt und die einzelnen Objekte aus vielen Farbschichten zu einem sorgfältig strukturierten Relief herausgeformt, das sich beim Blick von der einen zur anderen Seite des Bildes zu erkennen gibt. Wir haben es hier mit überschaubaren Kompositionen ohne hierarchische Staffelung, aber zugleich lockerer Anordnung und tonale Farbigkeit zu tun. Die Harmonie der Proportionen, der Farben und der ablesbare Auftrag des Pinsels verströmen Stille und Poesie.

In „Harmonisches Ensemble mit Kartenhaus“ (2012) wird das Anliegen der Malerin, das Wandern des Auges durch ein System von Kurven, Diagonalen und wechselnden Fluchtlinien zu berücksichtigen, besonders deutlich. Selten hat sie zu diesem Zweck den umgebenden Raum so tief geöffnet und die Grenze zum Interieur so weit überschritten wie hier. Die dahinter liegende Idee besteht nun aber nicht darin, etwa eine häusliche Atmosphäre zu schildern, sondern eine dynamische Tiefenwirkung zu entfalten, die die Wahrnehmung der einzelnen plastischen Formen (Stundenglas, Muscheln, Seestern, Kartenhaus, das jederzeit zusammenstürzen kann, Tierschädel) des Vordergrundes verändert. Petra Rintelen folgt einer Betrachtungsweise, welche die einzelnen Elemente der Malerei – Farbe, Form, Linie – unabhängig von ihrer abbildenden Funktion als eigenständige Ausdrucksträger ansieht, mit deren Hilfe es möglich wird, Natur nicht mimetisch wiederzugeben, sondern interpretierend nachzuschöpfen.
Bei der Darstellung eines schlichten Haushuhns oder eines prächtigen exotischen Geflügels wiederum geht es nicht nur um deren plastische Wiedergabe, sondern um die Schilderung von Situationen und Aktionen, in denen menschliche Gefühle und Verhaltensweisen anklingen und die Tiere den Menschen eine Art Spiegel vorhalten.

Dann wieder ist es die Poesie der einfachen Dinge, die die Künstlerin festhält – klar, ohne ablenkende und hintergründige Symbolik. In dem alles überstrahlenden Innenlicht scheint die Oberfläche der Dinge geradezu tastbar zu sein. „Stillleben mit Aster“ (2008): Die Aster, schon leicht verblüht, wendet sich dem Licht zu, gerade so wie in der östlichen Vorstellung der zur Sonne strebende Lotos symbolhaft den Aufstieg der Seele nachzeichnet. Petra Rintelen scheint also auch hier die Darstellung des Sichtbaren so weit wie möglich in den Dienst des Unsichtbaren zu stellen. Noch einmal: Nicht eine täuschende Abbildung ist ihr Ziel, sondern deren Interpretation.

Scheint es bei ihr wirklich keinen Hintersinn der Dinge zu geben, geht es ihr vor allem nicht auch um klare Form und Farbe, um die Betonung der Linien auf dem Bild als Fläche? Ein ganzes System vertikaler und diagonaler Linien verkürzt mitunter den Raum, der in seinem radikalen Ausschnitt irgendwie an japanische Holzschnitte erinnert.

Dabei stehen ihr die Farben als Symbole für die geheime Poesie der Dinge zur Verfügung, die es in eine plastische Ordnung zu überführen gilt, in Farbklänge, die nicht nach der Natur entstanden, sondern von der Natur inspiriert werden. Mit dieser Auffassung von Malerei als symbolischen Verweis kann das Stillleben, so traditionell es auch erscheinen mag, wieder sprechend werden.

Petra Rintelens Stillleben verweisen also nicht metaphorisch auf moralische Werte, sondern verdinglichen die Handlung und ihre „Akteure“ in einem signifikanten Requisit. Die Künstlerin verbindet auf pointierte Weise die emblematische Verweisfunktion frühbarocker Stillleben mit den seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu konstatierenden Tendenzen zur „Fetischisierung“ des Objekts, die den leblosen Gegenstand als aussagekräftige Reliquie eines Individuums oder einer Gruppe betrachten.

Dinge des häuslichen Alltags werden zusammen gesetzt, die von verschiedenen Blickpunkten aus gesehen sind, und in ein Netz von Vertikalen und Horizontalen einge-ordnet. Die Malerin überrascht immer wieder die vertrauten Dinge in ihrem Blickfeld, beschneidet sie auf merkwürdige Weise, malt sie von unerwarteten Winkeln aus und lässt sie in plötzlich aufglänzenden Farbschauern von Rosa, Krapprot, Flieder, Chromgelb, Chromgrün und hellem sonnnengesprenkeltem Grün zergehen. So erscheint die Materie auf ihren Bildern mitunter halbgeformt und erweckt den Eindruck, als wolle sie sich jeden Augenblick in dem Licht auflösen, aus dem sie gemacht ist. Dennoch wird man ihre Stillleben der neusachlichen Malerei zurechnen müssen. Die Konzentration auf das mitunter karge Motiv, die Symmetrie der Komposition und die Härte des Farbklangs verleihen den Dingen – mögen es nun simple Walnüsse, ein Musikinstrument oder ein Kleidungsstück sein - eine Präsenz, die hinter der undurch-dringlichen, kühlen Distanziertheit der Darstellung verborgen scheint. Man könnte für solche Bilder den Begriff „Magischer Realismus“ verwenden.

[…] Die Harmonie schlichter Gebrauchsgegenstände wird durch den extrem statischen Bildaufbau, die von tiefem Blickwinkel aus gewählte Nahsicht und das diffuse Licht gestört. Das scheinbar Vertraute erstarrt wie in einem Vakuum der Stille, in der die Objekte zu symbolhaften Zeichen gerinnen. Sie verweisen auf eine Realität hinter der Dingwelt: Die Blumen werden vergehen, zerstört und zugleich aufgehoben in einem metaphysischen Nichts, dessen blendende Kraft schon im Diesseits die Konturen angreift.

Petra Rintelens Kunst der von ruhigen, arabeskengleichen Konturen rhythmisierten Farbakkorde strebt danach, dem Bild einen eigenen „geistigen Raum“ zu geben, der dem Betrachter ohne die Abhängigkeit von einem Sujet allein durch das Sehen vermittelt wird. Dieses Ineinander-Aufgehen von Sinnlichkeit und Geist in der klaren einfachen Form hatte für Henri Matisse Glück oder, wie er es selbst nannte, „sublimierte Wollust“ bedeutet. Matisse wollte nicht so sehr psychologisch durch die Farbe auf den Betrachter einwirken, nicht Seelenzustand oder Leidenschaft vermitteln, sondern in der Betrachtung des Bildes jenen Zustand des meditativen und unbewegten Gleichgewichts erreichen, jene „emotionelle Leerheit, wo der Genuss der Farbe als vollkommenes Wohlbehagen empfunden wird“. Das ermöglicht auch die präzise Naherfassung von Gegenständen mit übersichtlicher formaler Struktur bei Petra Rintelen. Durch den Einsatz extremer Blickwinkel, die Wahl verfremdender Ausschnitte und ausschnitthafter Nahsichtigkeit kann dem „Wesen“ eines Objekts nachgespürt und ihm ein spezifisches Eigenleben verliehen werden. Gerade die „Hyperpräsenz“, die die dargestellten Objekte dank der fein-malerischen Technik erreichen, verleiht ihnen eine Aura des Unergründlichen. In diesem geistigen Raum, der sich hinter der physischen Eindringlichkeit eröffnet, ist eben auch Platz für Magie und Metaphysik gleichermaßen. Vergänglichkeitsmotive - wie die Sand- und Taschenuhr, aber auch der Tierschädel - spielen in den Stillleben Petra Rintelens neben Musikinstrumenten, Blumen und anderen Objekten eine wichtige Rolle. „Der Spiegel“ (2015), Sinnbild der Erkenntnis ebenso wie der Flüchtig-keit der Erscheinung, ruft ein eigenes, nicht dem Vordergrund entsprechendes Bild zurück, mit einer eigenen Räumlichkeit, einer Ateliersituation, die auf die Dinge im Vordergrund übergreift. Das Stillleben wird zum Selbstporträt, das im Spiegelraum wie auf einer Bühne vorgeführt wird. Das Stillleben - ein Sinnbild für den Kreislauf des Lebens, für den das Wort „Ewigkeit“ ein altes Vanitasmotiv bedeutet.

[…] Das Betrachten von Stillleben beinhaltet ein intellektuelles Vergnügen an der demonstrativen Künstlichkeit der Komposition in einem un-natürlichen Raum. Durch ihren Hyperrealismus der Wiedergabe, ihre Nahsicht und den meist geschlossenen Hintergrund lassen gerade die Stillleben Petra Rintelens dem Blick des Betrachters keinen Ausweg. Das Auge kann nicht passiv flanieren, es wird zur aktiven Konzentration gezwungen. Der augentäuschende Effekt wird allein durch die sorgfältig ausbalancierte Komposition und durch ein kalkuliertes Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Motiven erzielt: Täuschung und Ent-Täuschung vollziehen sich nicht auf der Netzhaut, sondern im Kopf des Betrachters.

Im Stillleben werden einfache Dinge des täglichen Lebens mit einer Bedeutung aufgeladen, mit einer Art Resonanz, die sie im täglichen Leben normalerweise nicht haben. Petra Rintelen hat das Stillleben für sich neu entdeckt und ein Gefühl für seine seltsame Art entwickelt, das Leben als etwas Taktiles, das der gemalten Fläche gleicht, und zugleich etwas Regloses zu betrachten. Nicht barocke Überfülle, wie bei den Flamen, sondern Genügsamkeit und Hingabe an die einfachsten Gegenstände und Dinge sind charakteristisch für ihre Malerei. Das aber bleiben ihre Stillleben eben auch: Es sind Botschaften über [die] verrinnende Zeit. Lautlos haben sich die Gedanken auf den Gegenständen ihrer Bilder abgelagert.

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Dr. Thomas Brückner - Notiz über die Malerin Petra Rintelen

(2015)

Petra Rintelens Bilder sind ein konzentrierter Blick auf das Sein des Lebens und der Dinge. Anklänge an Mythisches enthalten die Harpyien, das Haus des Ibykos und Melampus, sämtlich Traummomente, die in kühner Verschränkung von Bewegung und Stille die menschliche Existenz erzählerisch ausloten. Eine nicht weniger typische Handschrift zeigen Petra Rintelens Stilleben, die in durchdachter Farbkomposition Schatten und Licht, Dunkel und Helle austarieren, so dass die Gegenstände gleichermaßen Zärte und Kraft entfalten. Das scheinbar Zufällige verwandelt sich für den Betrachter zu einer Welt des festgehaltenen Augenblicks. Petra Rintelens Bilder erzählen den seelischen Reichtum der Stille.

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